Was der Krieg mit den Christen im Heiligen Land macht. Ist der Zauber Jerusalems endgültig zerbrochen?

Der fünfte große Krieg seit der Staatsgründung Israels 1948. Der Konflikt: seit über 100 Jahren ungelöst. Was macht er mit den Volksgruppen, was mit den Christen? Ist der Traum vom Heiligen Land endgültig zerstoben?

Von Johannes Schidelko (KNA)

9.November
Blick auf Bethlehem Quelle: Pixabay

Der Gaza-Krieg, der mit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober begann, wird nicht nur militärisch auf dem Schlachtfeld geführt. Er hat die Menschen und das ganze soziale Gefüge erschüttert und tiefes Misstrauen und Skepsis unter den Bevölkerungsgruppen geschürt. „Das einvernehmliche Nebeneinander, der Traum vom Heiligen Land, in dem sich Christen, Juden, Muslime, Drusen, Atheisten, Bahai und Tscherkessen wohlfühlen, sei zerbrochen“, sagt Nikodemus Schnabel, Abt des Jerusalemer Benediktinerklosters Dormitio. Vom Zauber Jerusalems, wo die Pilger der drei abrahamitischen Religionen zusammenkommen, sei sehr vieles kaputtgegangen.

Beim internationalen Blick auf Fronten und Lagerbildungen um die beiden Kriegsparteien gerate in Vergessenheit, dass hier Menschen sterben, betont der Mönch. Unter den rund 20.000 Todesopfern des Krieges sind bislang 28 Christen, allesamt Zivilisten. Für Christen wie auch für Juden und Muslime sei jeder Mensch als Abbild Gottes geschaffen ganz unabhängig vom Selbstverteidigungsrecht. Jedes getötete Menschenleben ist daher eines zu viel , so Schnabel. Und jeder weitere Tag Krieg sei eine weitere Herausforderung auch für die Christen.

Aber was tun die Kirchen in dieser Lage für ihre Gläubigen und für die Gesellschaft?

Sie haben die Botschaft der Bergpredigt- die mit der Forderung nach Feindesliebe derzeit nicht überall leicht zu vermitteln ist, die die Kirchenoberen aber mit Nachdruck bekräftigen. In Gaza haben die meisten der rund 1.000 Christen Zuflucht auf dem Gelände ihrer Kirchen gesucht- bis die orthodoxe Kirche bei einer Explosion schwer beschädigt wurde. Im katholischen Pfarrzentrum „Zur Heiligen Familie“ wurden zuletzt zwei Frauen von israelischen Scharfschützen erschossen. Die Pfarrei, zu der auch ein Pflegeheim der Mutter-Teresa Schwestern gehört, bietet den Gläubigen humanitäre und spirituelle Hilfe, auch wenn ihre materiellen Ressourcen infolge der Blockade ständig schrumpfen.

Eine besondere Herausforderung ist die Lage für Bethlehem im Westjordanland, das in diesen Weihnachtstagen wieder in den internationalen Blick rückt. Wie kann man die Geburt des Friedensfürsten mitten im Krieg feiern, fragen sich die Christen. Gerade sie sind dort in einer prekären Situation: Sie können weder zur Arbeit ins abgesperrte Jerusalem fahren, noch haben sie Einkommen aus dem Pilgertourismus, da die ausländischen Gäste komplett ausbleiben. Um den anhaltenden Exodus der Christen zu stoppen, führen die Franziskaner hier eine große Schule und bieten günstigen Wohnraum für bedürftige christliche Familien. Andere kirchliche Organisationen unterhalten Kliniken, etwa das Bethlehemer Caritas Baby Hospital. Die Benediktiner der Dormitio und des dazugehörenden Klosters Tabgha am See Genezareth engagieren sich sozialkaritativ und geistlich. Zu Kriegsbeginn hat ihre Jugend- und Behinderten-Begegnungsstätte Beth Noah in Tabgha fünf Wochen lang jüdische Behinderte und ihre Betreuer aus dem Süden aufgenommen. Unsere Kirchen bleiben geöffnet, wir feiern weiter unsere Messen und Gebetszeiten, betont Pater Nikodemus. Die Cafeteria ist geöffnet. Wir sind für die Menschen da, die zu uns kommen, so der Abt. Wir haben uns nicht aus Angst verriegelt, sondern versuchen, in diesem Ozean des Leidens und des Misstrauens durch unsere Präsenz eine Insel der Hoffnung und des Trostes zu sein. Auch diesmal führen sie ihre Weihnachtsaktion durch und bringen in der Heiligen Nacht eine Schriftrolle mit zigtausend Namen und ebenso vielen Fürbitten nach Bethlehem.

Zum Einsatz für die Christen im Heiligen Land gehört auch, dass die Dormitio keinen ihrer Angestellten entlassen hat- obwohl kaum Besucher und Gäste kommen und die Abtei kaum Einnahmen verbucht. Es ist für uns eine soziale Verantwortung- und eine sehr prekäre Situation. Wir müssen auf unsere Rücklagen zurückgreifen. Aber es lasse ahnen, wie es jetzt den christlichen Familien in Bethlehem und auf der Westbank gehen muss.

Dabei sind die Kirchen des Heiligen Landes in diesem Krieg nochmals enger zusammengerückt, haben mehrmals zu ökumenischen Friedensgebeten eingeladen. Und ausgerechnet in der Kriegslage kam es zu zwei ökumenischen Sensationen, die bislang kaum Beachtung fanden. Am Reformationstag haben der lutherische und der anglikanische Bischof von Jerusalem zusammen Abendmahl in der Erlöserkirche gefeiert- wie deren Propst Joachim Lenz bestätigte- und so eine sogenannte Abendmahlgemeinschaft gebildet. Zudem nahm der griechisch-orthodoxe Patriarch Theophilos III. erstmals an einem Gottesdienst in der Erlöserkirche teil.

Es fehle nicht an Solidarität der Weltkirche mit den Christen im Heiligen Land, betonen Kirchenobere. Auch aus Deutschland, das aufgrund seiner Staatsräson gegenüber Israel und eines gefährlichen Antisemitismus einen besonderen Blick auf die Lage hat, wurden die Christen im Heiligen Land nicht vergessen. Der neuernannte Paderborner Erzbischof Udo Bentz äußerte sich zur Tötung der beiden Frauen in der Pfarrei von Gaza. Abt Nikodemus kommentiert, er freue sich über die klaren Worten der Solidarität. Darauf haben die Christen im Heiligen Land seit Wochen gewartet.

Für die Weihnachtsfeiern haben sich die Kirchen im Heiligen Land auf einen Kompromiss geeinigt: Weder wurde das Fest komplett abgesagt, wie manche forderten, noch feiert man „as usual“ . Es gibt Gottesdienste, aber kein Straßenweihnachten mit hellem Christbaum und lauter Musik. „Ich glaube, es wird ein sehr authentisches Weihnachten“, so der Benediktiner. Denn in dieser Zeit, wo die Waffen sprechen und die Mächtigen der Welt über geopolitische Ziele streiten, gedenken wir eines wehrlosen Kindes; des Friedensfürsten, der vor 2.000 Jahren unter prekären Umständen in einer Krippe geboren wurde.

Wer mehr erfahren will, der ist auf der Seite der Abtei Dormitio richtig: https://www.dormitio.net/

 

News der Katholischen Nachrichten-Agentur

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