„EUROPA IST EINE GROSSE MÖGLICHKEIT“

Matthias HorxMatthias Horx

 

 

Matthias Horx ist „Trend- und Zukunftsforscher“.
Mit uns hat er für den AUFTRAG 304 Ende 2019 über Europa, den Klimawandel, Donald Trumpund die AfD gesprochen.

 

 

 

Sehr geehrter Herr Horx, Sie sind Zukunftsforscher. Sind Sie im Hinblick auf unsere europäische Zukunft optimistisch oder pessimistisch?

Europa ist wie ein Baum, der mal von Wind und Sturm, mal von Borkenkäfern angegriffen wird, aber trotzdem weiter wächst. Ab und zu bricht auch mal ein Ast ab. Ich finde auch, dass man sich solche „ismen” wie Pessimismus oder Optimismus nicht leisten kann. Das sind alles Verkürzungen, die der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Europa ist ein Muss. Wir leben auf einem Kontinent und ich bin ein “Possibilist”. Ich glaube, an Möglichkeiten und Europa ist mit seiner Geschichte, seiner diversen Kultur, seinen auch schrecklichen Erfahrungen
eine große Möglichkeit, gerade in einer globalisierten Welt. Unser großer Kernwert ist die Kultur, das komplexe Denken, das aus Tausenden von Jahren im Umgang mit Umbrüchen stammt.

Kennen Sie die vier Szenarien für die Europäische Union? Was sagen Sie: Leben wir im Jahr 2030 in einem gemeinsamen europäischen Haus oder in einer Ruine?

In einem gemeinsamen europäischen Haus. Aber wie in einem großen Familienhaus ist auch dort nicht alles nur harmonisch. Es gibt unordentliche und staubige Ecken und im Keller rumpelt es bisweilen.

Wie wird sich Europa hinsichtlich der Sicherheitspolitik entwickeln?

Das hängt von den Herausforderungen ab. Wenn es um uns herum aktive große Kriege gibt, werden sich die notwendigen
Integrationen der europäischen Politik schneller entwickeln, also eine europäische Armee, die es ja heute längst in Ansätzen gibt, aber auch ein Sprechen mit einer Stimme. Ansonsten ist das Konzept „Soft Power“ noch nicht ausgereizt. Es wird in der multipolaren Welt ja keine Hegemonie mehr geben.

Werden wir irgendwann eine Europäische Armee haben?

Ja, zumindest einen starken Kern und das ziemlich bald. Wir werden effektive und robuste Einsätze in der Umgebung Europas brauchen, die nicht nur ein Land organisiert.

Trumps kontroverse Russlandpolitik und seine Haltung zur Nato machen die Zusammenarbeit zwischen EU und den USA schwierig. Was sagen Sie, wie wird sich künftig die Zusammenarbeit mit Trump entwickeln? Kommt die zweite Amtszeit?

Mit Populisten wie Trump kann man nicht zusammenarbeiten. Das sagen sie auch selbst: Diene mir oder f*** you! Diese Art von Halbstarken-Populismus wird zwar immer wieder mal hochkochen, aber auch schnell wieder vorbei sein. Das sogenannte „Volk“ ist der Erlöser dann doch schnell wieder überdrüssig. Anders als in der präfaschistischen Zeit Europas vor 100 Jahren leben wir heute in einer medialen Anspruchsgesellschaft und in einem breiten Wohlstand. Der echte Faschismus braucht immer einen Opferkult und am Ende Krieg. Die aggressiven Populisten von heute stolpern meistens über ihre eigenen Schnürsenkel, wie man in meinem Gastland, in dem ich seit 20 Jahren wohne, Österreich, gut sehen kann. Ich glaube nicht, dass die amerikanische Gesellschaft am Ende noch mal vier Jahre diese Muppet-Show im Weißen Haus sehen möchte. Der politische Konsument ermüdet schnell und Trump ist ja eher immer mehr vom Gleichen: Er kann nicht anders.

Wie sieht es hinsichtlich der katholischen Kirche aus? Werden Themen wie die priesterliche Lebensform (Zölibat) und Führungspositionen von Frauen in der Kirche in den nächsten Jahren überdacht und gegebenenfalls der modernen Zeit angepasst?

Stück für Stück, ja. Die Kirche hat ja schon 2000 Jahre Zeit gehabt. Da kommt es auf ein Jahrhundert auch nicht an. Aber es wird schneller gehen. Sonst zerbröselt die Organisation.

Wie finden Sie eigentlich Greta Thunberg? Sie sind ja Kritiker der verbreiteten Klimavisionen, die Ihrer Meinung nach zum Zwecke der Angstmache funktionalisiert werden.

Nein, ich finde, Greta macht einen tollen Job und ist eine echte Ikone. Sie nutzt zwar eine alarmistische Rhetorik, “ich want you to panic”, aber im Unterschied zum profanen und gefährlichen Alarmismus geht es hierbei nicht nur um das Aufmerksamkeitserzeugen durch mediale Reize und Übertreibungen. Sie ist authentisch, weil sie ein echtes Anliegen hat, für das sie kämpft und das sie nicht nur benutzt, um Auflage zu gewinnen oder Follower auf Facebook. Sie ist weder eitel noch zynisch. Sie kombiniert Schock-Rhetorik mit Hoffnung. Sie ist auch nicht fatalistisch, nur entschlossen. Das erinnert uns daran, dass es sich lohnen kann, für etwas wirklich einzutreten, anstatt nur etwas zu “meinen”. Das ist eine wunderbare humane Botschaft.

Wie viel Macht glauben Sie, wird die AfD in den nächsten Jahren bekommen?

Sie ist an ihrem Zenit. Die Nachfrage nach dumpfer Angstrhetorik ist groß, aber jeder Trend erzeugt einen Gegentrend, einen Widerstand, eine Klärung. Die Demokraten finden in der Auseinandersetzung mit der populistischen Finsternis immer mehr zu sich selbst. Früher hat die AfD die Etablierten vor sich hergetrieben. Heute erzeugt sie ein zunehmendes Selbstbewusstsein auf der Seite der offenen Gesellschaft. Man sieht, dass sich in vielen europäischen Staaten auch die Zivilgesellschaft gegen den Rechtspopulismus erhebt.

Kann man sich eigentlich auf die Zukunft vorbereiten?

Nein, wie man sich auch generell nicht auf „das Leben“ oder „die Liebe“ vorbereiten kann. Aber man kann eine bestimmte Sensibilität entwickeln, eine Offenheit des Geistes und des Herzens.

Welche Dinge werden uns 2020 überraschen?

Es könnte zum Beispiel überraschen, dass die ökologische Wende schneller vorankommt und besser gelingt, als alle befürchten. Vielleicht haben wir schon 2027 den „Carbon Peak“, also den Zenit der CO2-Ausstöße erreicht. Wir werden uns noch wundern – auch über das Positive im nächsten Jahr.

Vielen Dank für das Interview!

 

„Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Wir nennen sie Bifurkationen. Oder Tiefenkrisen. Diese Zeiten sind jetzt!“


Matthias Horx

Nun beschäftigt sich der Zukunftsforscher Horx mitten in der Corona-Pandemie damit, Antworten für die Frage nach den langfristigen Auswirkungen dieser „Tiefenkrise“ für unsere Gesellschaft und die Menschheit zu suchen. Er kommt zu sehr interessanten und mutmachenden Ergebnissen.

Mehr dazu unter: https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/

 

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