Vor 75 Jahren tagte auf Herrenchiemsee der Verfassungskonvent - Die bayerische Wiege des Grundgesetzes

Drei Zigarren und eine Maß Bier standen jedem der Experten pro Tag zu, als sie vor 75 Jahren auf Herrenchiemsee die Grundlagen für das Grundgesetz schufen.

Von Barbara Just (KNA)


Der Auftrag kam von den Alliierten in den westdeutschen Besatzungszonen: Die USA, Großbritannien und Frankreich forderten im Juli 1948 die Ministerpräsidenten der Bundesländer auf, eine Verfassung auszuarbeiten. Hans Ehard (CSU) aus Bayern ergriff die Initiative und schlug einen besonders ruhigen Ort vor, um mit Experten eine Vorlage für den geplanten Parlamentarischen Rat zu schaffen: die Herreninsel im Chiemsee. Nicht nur mit der traumhaften Lage im Voralpenland lockte er die Kollegen, sondern auch mit dem Hinweis, dass es dort nur zwei Telefone gebe - Diskretion wäre gewährleistet und der Einfluss der Parteien minimiert.

Das Angebot stieß auf Wohlwollen. So reisten vom 10. bis 23. August 1948 rund 30 Länderbevollmächtigte und Experten ins Chiemgau. 13 Tage und Nächte diskutierten sie intensiv, wie eine Verfassung für das künftige Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aussehen sollte. Die Sitzungen wurden beizeiten unterbrochen, um sich die Füße zu vertreten. Beim Spazieren über die weitläufige Insel ergab sich die Möglichkeit, in einer kleinen Gruppe Fachfragen weiter zu erörtern. Manche der Herren hatten ihre Ehefrauen und Kinder mitgebracht. Zur positiven Atmosphäre dürfte auch beigetragen haben, dass jeder Teilnehmer pro Tag das Anrecht auf drei Zigarren oder zwölf Zigaretten hatte. Zum Trinken waren eine halbe Flasche Wein oder ein Liter Bier zugesagt.


(Bitte Bild Kloster einfügen) Als Tagungsort diente nicht das von Ludwig II. (1845- 1886) nach dem Vorbild von Versailles errichtete Schloss, sondern das alte Augustiner-Chorherrenstift. In jenem Zimmer, wo der König einst zu speisen pflegte, als er die Arbeiten am Neubau verfolgte, saßen nun Staatsrechtler wie Carlo Schmid und Theodor Maunz. Sie brachten in großer Runde ihr Fachwissen ein. Die als Gastgeber fungierenden Bayern hatten eine Vorlage erarbeitet, in der Hoffnung, damit den Konvent gleich zu Beginn in die entsprechende Richtung treiben zu können. Eine der prägenden Persönlichkeiten war der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Anton Pfeifer. Pfeiffer vertrat eine föderalistische Politik auf katholischer Grundlage. Die Experten beschäftigten sich mit den Grundrechten, der Rolle des Föderalismus und dem Schutz des Regierungssystems vor antidemokratischen Angriffen. Zentrale Fragen, die heute wieder aktuell sind.

Am Ende des Treffens 1948 stand ein 93-seitiger Bericht, der dem Parlamentarischen Rat zugeleitet wurde. Angesichts der drohenden Spaltung Deutschlands in West und Ost schlugen die Experten den Begriff „Grundgesetz“ vor, um alle Möglichkeiten einer späteren Vereinigung offen zu halten.

Und wer mehr wissen will, der wird hier fündig:
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Verfassungskonvent_von_Herrenchiemsee,_10.-23._August_1948#Das_Ergebnis_des_Verfassungskonvents

Und wer es genau wissen will: Hier der Entwurf als Text https://www.verfassungen.de/de49/chiemseerentwurf48.htm

 

90 Jahre Reichskonkordat von Hitler-Deutschland und Vatikan am 30. Juli 1933 abgeschlossen

„Den Teufel in die Schranken weisen“ - Das Reichskonkordat des Heiligen Stuhls mit dem NS-Regime war einer der umstrittensten Verträge im 20. Jahrhundert - und gilt doch bis heute. Auch nach 90 Jahren gehen die Meinungen darüber auseinander.
Von Gregor Krumpholz (KNA)

Verträge mit Unrechtsregimen haben nach deren Ende in der Regel keine lange Dauer. Doch das Reichskonkordat des Heiligen Stuhls mit dem nationalsozialistischen Deutschland ist bis heute in Kraft.

Zum 90. Jahrestag des Vertragsschlusses am 20. Juli ging es bei einer Veranstaltung der Katholischen Akademie Berlin am Mittwochabend um das umstrittene Abkommen, das die Beziehungen zwischen Staat und Kirche umfassend regelt. Beim Auftakt setzte der Papst-Botschafter in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, einen markanten Akzent: Der Heilige Stuhl schaut heute auf das Bestehen dieses Konkordats mit Zufriedenheit zurück, betonte der Apostolische Nuntius aller Kritik zum Trotz. Der Vertrag habe dazu beigetragen, kirchliches Leben in Deutschland zu garantieren, auch wenn es den nationalsozialistischen Kirchenkampf nicht verhindert hat.

Zwar räumte Eterovic ein, dass die Entstehung des Reichskonkordats in die frühe Epoche der nationalsozialistischen Gleichschaltung des kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens in Deutschland fiel, und somit beide Vertragspartner unter ungleichen Voraussetzungen verhandelten. Es sei jedoch sowjetische und nationalsozialistische Propaganda gewesen, den Vertrag vor allem als ersten außenpolitischen Erfolg Hitlers zu sehen. Eine solche Bewertung habe den Heiligen Stuhl in Misskredit bringen sollen. Dies beeinflusse Historiker bis heute, bedauerte der Nuntius. Er kritisierte, dass für manche Behauptungen sogar Quellen aus dem Italienischen verfälscht interpretiert oder sogar falsch übersetzt worden sind. Sie seien in das Narrativ einer international agierenden anti-katholischen Geschichtsschreibung eingegangen. Dagegen habe das Bundesverfassungsgericht 1957 unbeirrt von dieser zeitgenössisch und bis in die bürgerlichen Parteien propagierten Polemik die Gültigkeit des Reichskonkordats für die Bundesrepublik Deutschland anerkannt, weil der westdeutsche Staat völkerrechtlich mit dem Deutschen Reich identisch gewesen sei, würdigte der Nuntius.

Der Potsdamer Historiker Thomas Brechenmacher hob den Zeitdruck hervor, unter dem das Reichskonkordat entstand. Der Vatikan habe möglichst schnell einen schützenden Damm für deutsche Katholiken gegen staatliche Übergriffe schaffen wollen, solange das kirchenfeindliche NS-Regime noch im Aufbau gewesen sei. Man wollte den Teufel in die Schranken weisen, brachte Brechenmacher die Intention des Heiligen Stuhls auf den Punkt, war Hitler aber nicht ganz gewachsen. So habe es schon während der Vertragsverhandlungen Übergriffe gegenüber Priestern und katholischen Organisationen gegeben, die auch international beachtet wurden. Dennoch sei das Konkordat für die Nationalsozialisten ein Prestigeerfolg nach außen gewesen, räumte Brechenmacher ein.

 

Umfrage: Jüngere für Gesellschaftsdienst - zur Orientierung

Von Paula Konersmann (KNA)

Sozial, ökologisch oder bei der Bundeswehr: Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland befürwortet ein Pflichtjahr in einem sogenannten Gesellschaftsdienst. Zu diesem Ergebnis kommt der Ehrenamtsmonitor der Malteser, der am Mittwoch in Köln veröffentlicht wurde. Zudem sei das freiwillige, unentgeltliche Engagement für eine Mehrheit zuletzt wichtiger geworden. Die Ergebnisse lieferten Argumente, mehr Verbindlichkeit im Engagement für die Gesellschaft zu schaffen, sagte die Leiterin der Malteser Freiwilligendienste, Barbara Caron. Die offenkundige Bereitschaft unter Jüngeren sollte aufgegriffen werden. Insgesamt sprachen sich 62 Prozent der Befragten für einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst aus; unter den Befragten unter 25 Jahren waren es 45 Prozent. Diese hohe Zustimmung unter den Jüngeren bezeichneten die Malteser als überraschend.

Allerdings: In diesen Tagen verlassen wieder hunderttausende Schülerinnen und Schüler die Schule - viele davon ohne klare Perspektive und Vorstellung, was sie machen möchten. Viele Schulabgängerinnen und -abgänger seien nicht einmal volljährig - eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren verschärfen werde, wenn das Turbo-Abi in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Bayern oder SchleswigHolstein langsam auslaufe. 68 Prozent der Befragten erklärten, ein soziales oder ökologisches Jahre könnte Klarheit über die Berufsorientierung geben. Fast drei Viertel (73 Prozent) der Befragten erklärten, dass ein solches Jahr die Solidarität junger Erwachsener mit der Gesellschaft fördern würde. Auch nannten 62 Prozent die Abhilfe gegen Personalengpässe als Vorzug eines solches Pflichtjahres. 48 Prozent sehen es nach eigenen Worten als notwendig für die Landesverteidigung an. Tatsächlich haben 61 Prozent der Befragten nach eigenen Worten weder freiwillig noch verpflichtend einen entsprechenden Dienst geleistet. Von denjenigen, die einen Dienst absolviert haben, sagten 78 Prozent, dass diese Zeit sie persönlich weitergebracht habe; 60 Prozent haben wertvolle Erfahrungen für das spätere Berufsleben gesammelt. Auch ehrenamtliches Engagement nimmt der Monitor in den Blick: 22 Prozent der Befragten engagieren sich bereits, 41 Prozent können es sich vorstellen. In diesem Bereich sind jüngere Menschen ebenfalls besonders aufgeschlossen, wie es hieß: Nur rund ein Fünftel der Befragten zwischen 18 und 44 Jahren kann sich kein Ehrenamt vorstellen. Als Hindernisse wurden insgesamt am häufigsten gesundheitliche Probleme (37 Prozent) und Zeitmangel (36 Prozent) genannt. Bei der Förderung des freiwilligen Engagements ist aus Sicht der Malteser noch Luft nach oben, etwa durch eine bessere staatliche Förderung, flexible Einsatzzeiten oder eine Anerkennung durch Arbeitgeber. An der Befragung des Portals YouGov im Auftrag der Malteser beteiligten sich im Mai 2.054 Menschen. Die Umfrage ist den Angaben zufolge repräsentativ nach Alter (ab 18 Jahren), Geschlecht und Religion.

Und wer es genau wissen will, hier geht es zum ganzen Bericht:
malteser-ehrenamtsmonitor-juni2023.pdf

Und hier finden Sie die Überlegungen der GKS zu diesem Thema:
https://gemeinschaft-katholischer-soldaten.de/themen/allgemeiner-gesellschaftsdienst

 

Ein Blick zum evangelischen Kirchentag
Pistorius debattiert mit Kirchenvertretern über Ukrainekrieg

KNA

Ein Stopp westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine würde nach Aussage von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zwar ein schnelles Ende des Krieges bedeuten. „Aber eben auch ein Ende der Ukraine“, so der Minister am Samstag beim Ökumenischen Kirchentag in Osnabrück. Bisher fehlten leider entscheidende Schritte, um den Weg von Verhandlungen zum Frieden gehen zu können.

Pistorius reagierte damit auf das Plädoyer des katholischen Domkapitulars Theo Paul, sich auch Beispiele gewaltfreien Widerstands der Ukrainer anzuschauen und zu würdigen. „Warum sind wir heute bereit, einer anderen Logik - jener der Waffen - so gerne zu folgen?“, fragte Paul bei einer Diskussion über Politik, Kirchen und Krieg im Osnabrücker Dom. „Es gibt auch andere Wege; sonst kommen wir aus dieser Sackgasse nicht wieder heraus“, mahnte Paul.

Ähnlich kritisch äußerte sich Susanne Bei der Wieden, Präses der evangelisch-reformierten Kirche in Deutschland. Auch wenn klar sei, wer für den Ukraine-Krieg verantwortlich ist - nämlich Wladimir Putin -, und der Ukraine bei ihrer Verteidigung zu helfen sei, dürfe man nicht vereinfachen und polarisieren. „Wo läuft es hin, wenn eine neue Rüstungspolitik angesagt ist?“, so Bei der Wieden. Der Ukraine-Krieg dürfe nicht in eine Endlosschleife geraten und zu einem neuen Dreißigjährigen Krieg werden. Wenn derzeit ein weltweites Wettrüsten mit Waffenexporten stattfinde, dann sollten verantwortliche Politiker dies auch klar benennen. „Wir verbrennen im Moment Milliarden, die wir im Kampf gegen Hunger und den Klimaschutz brauchen“, kritisierte die Theologin.

Der Ökumenische Kirchentag ist Teil der 375-Jahr-Feier zum Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück von 1648. Der evangelische Landesbischof Ralf Meister riet dazu, genau zu überlegen, aus welcher Rolle die Kirche sprechen. „Was ich in der Ukraine erlebt habe, macht mich noch unsicherer bei etwaigen Ratschlägen“, so der Landesbischof. Er könne zu den Ukrainern gerade nicht über Versöhnung sprechen. „Was ich gehört habe, macht mich schweigsamer“, fügte Meister hinzu. Vorerst müsse man den Menschen in der Ukraine in notwendigstem Maße zur Selbstverteidigung helfen. Das ändere nichts an der Einigkeit im Ziel, den Krieg zu beenden und Frieden zu schaffen.

Altbundespräsident Christian Wulf beklagte, dass vielerorts das Vergessen stärker werde als das Erinnern. Angesichts brüchiger Demokratien, die zudem angegriffen und unterwandert würden, rief Wulff dazu auf, sich in Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Initiativen zu engagieren. In der Hinsicht hätten auch einfache Bürger Einfluss und Macht. Weltweit gestärkter Gemeinschaftssinn sei eine wichtige Voraussetzung für Frieden.

 

Hilfswerke: Überwindung von Armut und Hunger in weiter Ferne

Die Vereinten Nationen haben sich für 2030 große Ziele vorgenommen, darunter, Hunger und Armut weltweit zu beenden. Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe und terre des hommes sehen die Ziele kaum noch erreichbar.

Von Michael Kinnen (KNA)


Die Welthungerhilfe und die Kinderrechtsorganisation terre des hommes sehen die Erreichbarkeit der UNEntwicklungsziele aus der Agenda 2030 in Gefahr. Die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und die Auswirkungen der Corona-Pandemie seien aber nicht allein entscheidend dafür, dass die Überwindung von Armut und Hunger in immer weitere Ferne zu rücken scheint, erklärten die beiden Hilfswerke bei der Vorstellung ihres jährlichen „Kompass zur deutschen Entwicklungspolitik“ am Donnerstag in Berlin. Ein Großteil der aktuellen Herausforderungen resultiere aus Versäumnissen der Vergangenheit.

Mit der Agenda 2030 haben die Vereinten Nationen im Jahr 2015 insgesamt 17 globale Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bis zum Jahr 2030 formuliert, darunter Armut und Hunger weltweit zu beenden und Ernährung zu sichern, den Klimaschutz umzusetzen, hochwertige Bildung und Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen und menschenwürdige Arbeit und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu verbinden.

Die Zahl der vom Hunger Betroffenen habe sich weltweit auf 828 Millionen erhöht. Die Zahl der Wetterextreme habe sich seit 1990 verdoppelt. Das seien alarmierende Trends, erklärte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Matthias Mogge. Die Welt befinde sich im Krisenmodus.

Unter anderem forderten die Organisationen, dass die Bundesregierung ihren Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung bis 2025 auf mindestens acht Milliarden Euro jährlich aufstockt. Deutschland hatte bislang eine Erhöhung bis 2025 auf insgesamt sechs Milliarden Euro pro Jahr angekündigt. Im Jahr 2021 lag sie bei 5,34 Milliarden. Die Zahlen für das vergangene Jahr sollen bis Herbst vorliegen, hieß es.

Der Bericht „Kompass - zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik“ erscheint in diesem Jahr zum 30. Mal. Wer es genau wissen will, der findet den Bericht hier: https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/politik-veraendern/kompass-2023

 

Weltflüchtlingstag - Kinder leiden in besonderem Maße

Ob im Krieg oder auf der Flucht - oft sind Kinder die Hauptleidtragenden. Hilfsorganisationen fordern zum Weltflüchtlingstag deshalb mehr finanzielle Unterstützung für junge Vertriebene. Sonst droht die Gewaltspirale.

Von Clara Engelien (KNA) Berlin


Unter Krisen und gewaltsamen Konflikten haben besonders Kinder zu leiden - das zeigen Untersuchungen im Vorfeld des Weltflüchtlingstags am 20. Juni. Obwohl Kinder nur 30 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, liegt ihr Anteil an der Gesamtzahl der gewaltsam vertriebenen Menschen bei 40 Prozent, wie aus dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hervorgeht.

Die Kinderhilfsorganisation World Vision fordert mehr finanzielle Unterstützung.

Laut UNHCR-Bericht lag die Zahl der weltweit vertriebenen Menschen bis Mai auf einem Rekordhoch von 110 Millionen. Dabei zeige sich, dass die 46 am wenigsten entwickelten Länder, die zusammen weniger als 1,3 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts ausmachen, mehr als ein Fünftel aller Flüchtlinge aufgenommen haben.

Die Mittel zur Unterstützung der Gastgeberländer sind dem Bericht zufolge 2022 jedoch hinter dem Bedarf zurückgeblieben und flössen auch 2023 bei steigendem Bedarf nur schleppend.

Einem ebenfalls am Mittwoch vom Hilfswerk veröffentlichten Bericht zufolge steigen Hunger und Gewalt gegen Kinder in Fluchtsituationen deutlich an. Dem Bericht liegt den Angaben zufolge eine Befragung unter Flüchtlingen und Binnenvertriebenen zugrunde. Die Zahl der vertriebenen Familien, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbstständig bestreiten könne, hat sich demnach innerhalb eines Jahres verdoppelt. Rund 82 Prozent der geflüchteten Familien müssten bereits regelmäßig auf Mahlzeiten verzichten, um mit dem geringeren Einkommen zurechtzukommen. Zu den Ländern, die am meisten betroffen sind, zählen laut Bericht Burkina Faso, Äthiopien und Afghanistan. In fast einem Drittel der Haushalte könnten Kinder nicht zur Schule gehen; nur 11 Prozent der Haushalte könnten einen Schulbesuch vollständig finanzieren. Viele Kinder müssten arbeiten gehen, um zum Familieneinkommen beizutragen, oder würden besonders früh verheiratet, um anderweitig versorgt zu werden. Auf der Suche nach Schutz schlössen sich einige Kinder auch bewaffneten Gruppen an, so der Bericht.

Mehr Informationen: Weltflüchtlingsbericht 2022 Global Trends Report 2022 | UNHCR

 

Vor 75 Jahren begann die elfmonatige Berliner Luftbrücke

Tag und Nacht haben die Flugzeugmotoren gedröhnt.Wenige Jahre zuvor waren sie mit Bomben gekommen - nun brachten sie im Akkord Lebensmittel: Die Berliner Luftbrücke rettete die abgeriegelte Millionenstadt und prägte das Bild der Deutschen von den Westmächten.

Von Gregor Krumpholz (KNA)

Sie flogen so tief, dass man das Gefühl hatte, sie anfassen zu können, erinnert sich Elisabeth Hanky. Die landenden Flugzeuge der Berliner Luftbrücke hat sie, damals zwölf Jahre alt, noch vor Augen als wäre es heute, 75 Jahre später. Und Tag und Nacht haben die Motoren der Flugzeuge gedröhnt. Es war die größte Luftversorgungs-Aktion der Geschichte, die am 26. Juni 1948 begann. Und es war eine der spektakulärsten Aktionen des Kalten Krieges, der zwischen den ehemaligen Verbündeten gegen Hitler-Deutschland begonnen hatte. Noch wenige Jahre zuvor hatten Tag und Nacht die Flugzeuge der Amerikaner und Briten die damalige Reichshauptstadt in Schutt und Asche gelegt, nun waren sie die einzige Lebensader der 2,2 Millionen West-Berliner zum Rest der freien Welt.


Denn bei den Verhandlungen der Alliierten über die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen hatten die Westmächte eine wichtige Regelung versäumt: Ungehinderte Zugangswege zu Lande und Wasser nach Berlin, das von der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) umgeben war, wurden nicht vertraglich festgelegt. Als die Westmächte in ihren drei Sektoren Berlins die D-Mark einführten, um zu verhindern, dass die Mark der SBZ und späteren DDR in ganz Berlin zum Zahlungsmittel wurde, kam es zum Eklat: Die sowjetische Militärverwaltung unterbrach am Morgen des 24. Juni 1948 den gesamten Straßen- und Schienenverkehr zwischen Berlin und den Westzonen, aus denen später die Bundesrepublik hervorging. Später wurden die Binnenschifffahrtswege geschlossen, so dass auch auf diesem Weg keine Lebensmittel- und Kohlelieferungen in die Westsektoren Berlins mehr möglich waren. Die West-Berliner sollten buchstäblich ausgehungert und die Westmächte zum Abzug ihrer Truppen aus der Stadt veranlasst werden.

Als Reaktion auf diese Machtprobe erteilte der US-Militärgouverneur für Deutschland, General Lucius D. Clay, den Befehl zur Luftbrücke. Anfangs war sie nur für maximal 45 Tage geplant, doch die logistische Meisterleistung bekam immer größere Ausmaße.


Der Minimalbedarf zur Versorgung von West-Berlin lag bei bis zu 5.000 Tonnen pro Tag. So musste auf den Flughäfen Tempelhof und Gatow jeweils eine zweite Landebahn angelegt werden. Außerdem errichteten rund 19.000 Berliner unter Anleitung amerikanischer und französischer Techniker innerhalb von 85 Tagen einen neuen Flughafen in Tegel. Damit wurden zusätzliche Landemöglichkeiten für die Flugzeuge geschaffen, die von elf Flugplätzen in Westdeutschland starteten. Französische Maschinen waren an der Aktion nicht beteiligt, sie waren durch den Krieg in Indochina gebunden. Ständig befanden sich 300 Flugzeuge im Einsatz. Alle 90 Sekunden startete und landete einer der „Rosinenbomber“, so nannte der Berliner Volksmund die lauten Propellermaschinen. Insgesamt waren es während der Zeit der Blockade 277.246 Flüge, bei denen über zwei Millionen Tonnen Nahrungsmittel, Kohle und Maschinen nach Berlin gebracht wurden. Darunter waren auch Teile eines Kraftwerks, um die Energieversorgung der Stadt zu gewährleisten. Auf dem Rückweg brachten die Flugzeuge in der Stadt produzierte Industriegüter in den Westen.

Die Transportkosten der Aktion wurden von den Westmächten getragen. Für Verladung und Umschlag der Güter sowie Ausbau und Unterhalt der Flugplätze kam der Magistrat der Stadt auf. In den drei Westzonen Deutschlands wurde eine Sondersteuer „Notopfer Berlin“ erhoben, ein Zuschlag von zwei Pfennig auf alle innerdeutschen Postsachen. Zudem wurde rund ein Prozent aller Lohn- und Gehaltszahlungen einbehalten - eine Art Vorform des späteren Solidaritätszuschlags.

Diplomatische Lösungsversuche der Krise blieben lange ohne Ergebnis. Die Westmächte begannen am 26. Juli 1948 eine Gegenblockade und sperrten den Güterverkehr aus dem Westen in die SBZ. Von September 1948 bis Februar 1949 wurde sie auf den Handel mit den osteuropäischen Ländern ausgedehnt. Am 4. Mai 1949 lenkte die Sowjet-Regierung ein, eine Woche später wurden Blockade und Gegenblockade beendet.

Die Teilung Berlins war indes nicht aufzuhalten. Im Herbst 1948 wurde die Verwaltung der Stadt geteilt. Bis zur Wiedervereinigung beider Teile Berlin sollte es noch mehr als 40 Jahre dauern.

 

 
Historiker appellieren: Krisen anders denken - Fallgeschichten aus drei Jahrtausenden


Was geschieht, wenn sich Gesellschaften bedroht fühlen? Wenn die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, verändern sich Machtkonstellationen und Normen. Ein Buch untersucht Fallgeschichten aus drei Jahrtausenden.
Von Christoph Arens (KNA)

Finanzkrise, Flüchtlingsströme, Hochwasser und Dürren. Corona-Pandemie, bedrohte US-Demokratie, Islamistischer Terrorismus und die Rückkehr des Krieges in Europa: Das 21. Jahrhundert erscheint bisweilen als Abfolge immer neuer Krisen. Gewissheiten und Fortschrittshoffnungen sind plötzlich fraglich geworden. Das Virus setzte über Jahre hinweg Normen und Alltagsroutinen außer Kraft. „Die Welt ist aus den Fugen geraten“, bilanzierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Doch was geschieht, wenn soziale Ordnungen plötzlich nicht mehr zu funktionieren scheinen?

Seit 2011 untersuchen Wissenschaftler der Universität Tübingen im Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“, wie Menschen und Gesellschaften handeln, die unter Druck geraten sind. Jetzt haben die Tübinger Historiker Ewald Frie und Mischa Meier einen spannenden Sammelband mit Fallgeschichten aus 3.000 Jahren vorgelegt. Den Begriff „Krise“ lehnen die Autorinnen und Autoren als zu unscharf ab. „Lasst uns über Bedrohungen reden“, schreiben Frie und Meier zu Beginn. Bedrohungen könnten Gesellschaften verändern. Aus ihnen erwüchsen ungeahnte Chancen und Risiken. Ein Blick auf bedrohte Ordnungen in der Vergangenheit könne helfen, Neues über die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und uns selbst zu lernen.

Bedrohungen verleihen Macht: Wer die Dynamik der Krise beherrscht, kann selbst weit entfernt scheinende Ziele erreichen: Solidarität herstellen, neue Gesetze durchsetzen - oder Grundrechte außer Kraft setzen, Bevölkerungsgruppen ausgrenzen und Gewalt rechtfertigen. Wir sind in den Geschichten vielen Bedrohungsunternehmern und Bedrohungsprofiteuren begegnet: von den kleinen Geschäftemachern der justinianischen Pest bis zu den Rechtsradikalen nach der Kölner Silvesternacht, heißt es.

Die Versuchsanordnung des Buches ist klar: Das Corona-Virus zum Beispiel traf auf ganz unterschiedliche Gesellschaften, die auch sehr verschieden reagierten. Entscheidungsprozeduren waren in China anders als in den USA oder Deutschland. Im Erzgebirge gab es ein anderes Bedrohungsgefühl als in Holstein. Republikanische US-Gouverneure trafen andere Entscheidungen als demokratische Gouverneure. Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Jede soziale Gruppe, jede Gesellschaft verfügt über eigene Mechanismen, Ordnung herzustellen.

Das bedeutet aber auch, dass jede Gesellschaft in spezifischer Weise verwundbar ist und ein anderes Verständnis davon hat, was sie bedrohen kann. Eine antike Gesellschaft, in der der Tod allgegenwärtig war, ging gelassener mit einer Seuche um als Deutschland mit der unerwarteten Corona-Pandemie. Aus solch unterschiedlichen Verhaltensweisen versuchen die Wissenschaftler, Muster zu destillieren, die sich durch die Geschichte ziehen. Wir gewinnen dadurch keine sicheren Prognosen für die Zukunft, immerhin aber ein vertieftes Verständnis für menschliches Handeln in Extremsituationen, heißt es im Buch.

So hat beispielsweise Religion sehr unterschiedliche Funktionen - sie kann Gesellschaften unter Stress einen oder auch spalten: Als im Jahr 626 Konstantinopel von den Persern belagert wurde und Kaiser und Heer weit weg waren, ließ die Kirche so viele Messen lesen und Prozessionen durch die Stadt führen, dass die Bürger fest an den Beistand Gottes glaubten und die Feinde in die Flucht schlugen. Doch zur Zeit der Reformation trugen religiöse Praktiken dazu bei, Bedrohungsgefühle zu eskalieren. Beispielsweise Pamphilus Gengenbach mit seiner Satire „Jämmerliche Klage über die Totenfresser“, die Papst und katholischen Klerus scharf beschuldigten, sich an Totenmessen und Gedenkstiftungen zu bereichern und die Lebenden verarmen zu lassen.

Für die Autoren ist klar: Auch wenn Bedrohungen eine überwältigende Dynamik entfalten, sind sie keine schicksalhaften Naturgewalten. Es lohne sich, Szenarien kritisch zu prüfen und zu fragen, wer sie formuliere und wer davon profitiere. So zeige sich im Brexit-geplagten Großbritannien, dass ein Bedrohungsalarm erst an Einfluss gewinne, wenn alle Themen auf diese eine Bedrohung verengt würden und wenn sich Menschen kollektiv von ihren Bedrohungsängsten leiten ließen.

 

 
Historischer Israel-Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt 1973


Als Willy Brandt vor 50 Jahren - am 7. Juni 1973 - in Tel Aviv aus dem Flugzeug stieg, schrieb er Geschichte. Als erster deutscher Regierungschef besuchte er Israel und brachte die Beziehungen beider Länder voran.

Von Andrea Krogmann (KNA)

Kein Kniefall wie im Warschauer Ghetto, aber doch ähnlich bewegend war die Geste, die Willy Brandt (SPD) für seinen Besuch in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wählte. „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte“, las er bei einer Gedenkfeier für sechs Millionen im Holocaust ermordete Juden aus Psalm 103.

Vom 7. bis 11. Juni 1973 besuchte Brandt als erster deutscher Regierungschef Israel - wenige Jahre zuvor noch undenkbar. Beinahe wäre er nicht gekommen. Die Freilassung der überlebenden drei Terroristen des Münchner Olympia-Anschlags am 5. September 1972 nach einer erneuten Flugzeugentführung hatte für scharfe israelische Kritik gesorgt. Brandt soll seine Besuchspläne daraufhin fallen gelassen haben, berichtete die jüdische Nachrichtenagentur JTA im Januar 1973. Schon 1969 hatte Brandt den Unmut der israelischen Öffentlichkeit auf sich gezogen, als er Israel in seiner Regierungserklärung nicht erwähnte. Im Januar 1973 holte er das nach. Das Existenzrecht Israels sei für Deutschland unanfechtbar, sagte er in einer Erklärung vor dem Bundestag. Ein paar Monate später stieg er auf dem Flughafen Ben Gurion aus einer Maschine der Luftwaffe, während israelische Soldaten die deutsche Nationalhymne spielten. Der Protest, die Brandt in seinen Tagen in Israel begleitete, war milder als befürchtet. Der Friedensnobelpreisträger, der sich 1933 ins norwegische Exil begeben und dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten angeschlossen hatte, wurde als vehementer Nazigegner geschätzt. Früh sprach er sich für Kontakte zu Israel aus, besuchte selbst als Regierender Bürgermeister von Berlin 1960 erstmals das Land und dessen Außenministerin und spätere Ministerpräsidentin Golda Meir. Bei seinem Besuch als Kanzler stand vor allem der Nahostkonflikt im Fokus, wie Brandt zum Abschluss seiner Reise erklärte. Dass er mit seiner Amtskollegin Meir dabei nicht immer auf gleicher Wellenlänge lag, konnten auch die freundschaftlichen Beziehungen und die gemeinsame Sympathie für die Idee eines demokratischen Sozialismus nicht verbergen. Vor allem die Wiederaufnahme der Beziehungen Deutschlands zu den arabischen Staaten und die deutsche Idee einer ausgewogenen Nahostpolitik bereiteten Israel Bauchschmerzen. Beinahe wäre er nicht wieder zurückgekommen. Ein Hubschrauber, der Brandt zur Festung Masada bringen sollte, trieb in einer Windböe ab und kam erst kurz vor der Klippe zum Stehen. Nach seiner Rückkehr bezeichnete Brandt das Freundschaftsangebot Meirs an Deutschland als Ereignis von geistiger und moralischer Dramatik. Während sich das Spezifische im Verhältnis der Deutschen zu Israel und den Juden durch keine Macht der Welt auslöschen lasse, müssten die diplomatischen Beziehungen beider Länder normal sein, nur eben mit einem besonderen Charakter. Ja zur Bereitschaft Deutschlands, zum Frieden Israels mit seinen arabischen Nachbarn beizutragen, aber ein klares Nein zu einer aktiven Vermittlerrolle, so die Haltung Brandts. Den deutsch-israelischen Beziehungen hat der Besuch einen Schub verliehen. Nur im Konflikt, dessen friedliche und verhandelte Lösung nach des Kanzlers wiederholtem Bekunden deutsches Interesse sei, waren die Fronten im Frühjahr 1973 verhärtet. Die Spannungen entluden sich im JomKippur-Krieg im Oktober des Jahres - der letztlich Meir ihre politische Karriere kostete. Erst Jahre später wurde bekannt, dass Brandt Israel mit einer Lieferung kriegswichtigen Geräts unterstützt und auch US-amerikanische Waffenlieferungen an Israel über deutsches Territorium geduldet hatte. Willy Brandt trat am 5. Mai 1974 wegen einer Spionageaffäre zurück. Es sollte sein einziger Besuch als Kanzler in Israel bleiben, dem jedoch Besuche fast aller späteren Kanzlerinnen folgten. Am 2. März 2022 stand Brandts jüngster Nachfolger Olaf Scholz in Yad Vashem und betonte, Deutschland werde auch weiterhin fest an der Seite Israels stehen.

 

 
Vatikanische Friedensmission ist noch nicht terminiert

KNA

2023 Rom Nuntius klein
Bildquelle: iStock

Der Vatikan hat noch keinen Starttermin der von Papst Franziskus angedachten Friedensmission für die Ukraine festgelegt. „Es ist noch zu früh, um das zu sagen“, erklärte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin am Freitagabend (2.6.2023) am Rande einer Buchvorstellung in Rom. Er gehe aber davon aus, dass es vonseiten Kiews und Moskaus wenig Probleme bei der Terminfindung geben werde. Sobald der vom Papst beauftragte Kardinal Matteo Zuppi zum Aufbruch bereit sei, reiche es, sich abzustimmen. Parolin sagte zugleich, dass die Ukraine derzeit keine Friedensvermittlung im engen Sinne des Begriffs haben wolle. „Diese Mission hat jedoch keine Vermittlungen zum sofortigen Ziel, sondern eher, ein solches Klima herzustellen und dabei zu helfen, sich in Richtung friedliche Lösung zu bewegen.“ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte nach einer Begegnung mit Papst Franziskus Mitte Mai Friedensvermittlungen durch den Vatikan abgelehnt. „Mit Putin kann man nicht verhandeln, kein Staat der Welt kann das machen“, sagte er. Franziskus hatte den Vatikan zuvor mehrfach als Vermittler im Ukraine-Krieg angeboten. Vergangenes Wochenende ernannte er schließlich den Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz Zuppi zum Leiter einer Friedensmission zur Beendigung des Kriegs. In Absprache mit dem vatikanischen Staatssekretariat soll Zuppi zwischen Kiew und Moskau vermitteln. Ziel sei es, Spannungen abzubauen und Wege zum Frieden aufzuzeigen, so der Vatikan. Zuppi selbst hat angekündigt, er wolle sich zunächst nicht konkret zur Mission äußern. Das russische Außenministerium begrüßte unterdessen den geplanten Vermittlungsversuch des Vatikans. Es müsse jedoch die bekannte grundsätzliche Position Russlands zu möglichen Friedensverhandlungen berücksichtigt werden.

Und wer es genau wissen will, findet hier interessante Fakten und Einschätzungen

Sozialethiker: Der Papst hat das Kriegsende im Blick

Der Vatikan sieht die USA nicht als Heilsbringer der Welt

Von Simon Kajan und Ludwig Ring-Eifel (KNA) 1. Juni 2023

Der Sozialethiker Peter Schallenberg analysiert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Beweggründe des Vatikans und auf welchen theologischen Grundlagen die päpstliche Friedensdiplomatie agiert.

KNA: Professor Schallenberg, viele Menschen in Deutschland sind irritiert von der außenpolitischen Linie des Papstes. Zunächst zurückhaltende Äußerungen zum russischen Angriffskrieg und nun eine Friedensinitiative. Wie ist das zu erklären?

Schallenberg: Wenn man sich die päpstliche Diplomatie der letzten 100 Jahre anschaut, dann ist das recht einfach zu erklären. Der Vatikan versucht, eine neutrale Haltung einzunehmen. Hinsichtlich der moralischen Beurteilung von Kriegen ist er jedoch eindeutig. Der Papst hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt, doch positioniert sich der Heilige Stuhl außerhalb der Machtblöcke und nimmt über das Ende der Kriege auch den neuen Anfang einer Versöhnung in den Blick. Dadurch kann er ein Forum bieten und als Vermittler tätig sein.
Es geht darum, aus Feinden Partner werden zu lassen. Damit steht Franziskus in einer Tradition mit de Gaspari, Schuman und Adenauer, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ermöglicht haben.

KNA: Warum gelingt es kaum, diese besondere Position zu kommunizieren?

Schallenberg: Das betrifft vor allem die deutsche Presse. Das sieht in Italien und Frankreich anders aus. Dort ist die Tradition des Heiligen Stuhls stärker im Blick und wird besser verstanden. In Deutschland stehen sich Extrempositionen gegenüber, ein Mittelweg scheint kaum möglich zu sein. Entweder ein bedingungsloser Pazifismus oder eine bedingungslose Hilfe für die Ukraine bis zum Sieg.

KNA: Der Vatikan gibt sich gegenüber Kiew eher distanziert. Ist dieser Papst näher an Moskau als an Kiew und „dem Westen“?

Schallenberg: Das Letzte würde ich keinesfalls behaupten. Aber der Vatikan hat ein distanziertes Verhältnis zum Westen. Denken wir an die vielen Male, wo Johannes Paul II. den USA und damit dem Westen in Sachen Irakkrieg widersprochen hat. Der Vatikan sieht sich dezidiert nicht als Teil des Westens. Punkt. Die deutliche Distanz zu Moskau, aber auch eine Distanz zu Kiew begründet sich aus einer Gemengelage von Motiven. Dazu gehören beispielsweise auch die vielen Minderheiten aus Ungarn, Armenien und Rumänien in der Ukraine. Im Blick auf die russisch-orthodoxe Kirche will man den Gesprächsfaden auf keinen Fall abreißen lassen. Man will zudem vermeiden, dass man als ein Anhängsel der westlichen strategischen Bündnispolitik im Hinblick auf Kiew betrachtet werden könnte. Um es noch mal ganz deutlich auf den Punkt zu bringen: Aus meiner Sicht hat der Vatikan überhaupt keinen Grund, sich dieser politisch-strategischen Allianz anzuschließen, ohne dass deshalb irgendein Zweifel daran besteht, dass das ein ungerechter Angriffskrieg ist und dass die Ukraine das Recht hat, sich zu verteidigen.

KNA: Hat diese Positionierung auch etwas mit der lateinamerikanischen Herkunft von Papst Franziskus zu tun?

Schallenberg: Ja, absolut. Wie weit der Papst persönlich motiviert ist, ist natürlich schwierig zu beantworten. Das neokoloniale Gebaren der USA in Lateinamerika hat Franziskus aber natürlich geprägt. Zudem sind die diplomatischen Beziehungen des Vatikans mit den USA jüngeren Datums. Auch das prägt die Wahrnehmung des Vatikans, der die USA keinesfalls als den Heilsbringer des Großteils der Welt ansieht. Und dann gibt es die Fragen nach der geopolitischen Ordnung der Zukunft: Bildet sich eine bipolare Ordnung heraus? Oder eine multipolare Ordnung? Auch das Verhalten des Vatikans in Bezug auf China wird von dieser Sorge imprägniert sein.

KNA: Steht Franziskus als Lateinamerikaner den BRICS-Staaten näher und den USA ferner als frühere Päpste vom europäischen Kontinent?

Schallenberg: Indien, Brasilien und Südafrika als Teil der BRICS-Staaten werden im Westen meines Erachtens unterschätzt und ich glaube, dass der Vatikan das auch so sieht. Man könnte sie mit den „Blockfreien“ im Kalten Krieg vergleichen. Die hatten eine nicht unerhebliche Rolle in der Welt, wurden aber sehr unterschiedlich regiert. Das beobachtet man auch bei den BRICS-Staaten. China hat eine ganz eigene Agenda, um eine chinesische Hegemonie im fernen asiatischen Raum einzuläuten. Oder denken Sie an Südafrika mit einer sehr fragilen Wirtschaft, aber mit einem deutlichen Selbstbewusstsein; oder an das große Indien.

KNA: Welche Priorität steht hinter dieser neutralen Position?

Schallenberg: Der Vatikan sieht sehr nüchtern seine Hauptaufgabe im Schutz der Christen und überhaupt der Menschenrechte. Und das scheint ihm am besten zu gelingen, wenn er nicht Teil einer strategischen Allianz ist, und das würde ich als sehr plausibel unterstreichen.

KNA: Der Westen hält Wladimir Putin nicht für verhandlungsfähig. So sieht das auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Doch der Papst denkt hier anders. Wie kommt er dazu?

Schallenberg: Das Kirche lehrt, dass das Böse ein Mangel an Gutem ist. Das schlägt sich auch im politischen Agieren der Päpste nieder. Paul VI. und Johannes Paul II. haben etwa die diplomatischen Beziehungen weder zu Persien noch zur späteren islamischen Republik Iran infrage gestellt. Das betrifft auch viele andere Regime in der Welt. Es gibt nicht den Bösen, sondern das Böse. Also keine manichäische dualistische Ordnung: hier die Guten, dort die Bösen, wie wir es aus der Diktion George Bushs jun. von der „Achse des Bösen“ kennen. Er machte einen Unterschied zwischen dem Reich des guten Westens mit „God's own Country“ an der Führungsspitze und dem Reich des Bösen auf der anderen Seite. Da ist der Vatikan nie mitgegangen. Dazu besteht auch kein Grund wegen einer von Augustinus geprägten Geschichtstheologie, die das Böse als eine Versuchung im Herzen von Menschen, auch von vielen Menschen ansieht. Aber dass ein Mensch an und für sich der Böse ist und damit ausgerottet und bekämpft werden muss, ist selbst bei einem Tyrannen nicht der Fall. Der Tyrannenmord bleibt daher ultima ratio. Denn das absolut Böse wäre etwas, das keine Möglichkeit mehr hätte, sich zum Guten zu bekehren und das ist bis in die letzte Lebenssekunde eines Menschen nach christlicher Auffassung der Fall. Insofern geht es schon bei Augustinus immer nur um die Notwendigkeit der Eindämmung des Bösen.

KNA: Selenskyj wie auch der russische Außenminister haben eine päpstliche Vermittlung bislang abgelehnt. Warum will sich der Heilige Stuhl dennoch einmischen?

Schallenberg: Jeder muss das Blatt spielen, das er hat. Selenskyj hat alles auf eine Karte gesetzt. Das ist ihm nicht zu verdenken, sondern das ist ganz verständlich und nachvollziehbar. Aber genauso nachvollziehbar und verständlich ist, dass der Vatikan sagt, wir haben einen anderen Blick, ohne dass deswegen irgendein Unrecht oder eine Gewalt gerechtfertigt wird. Das ist eben die Schwierigkeit, das auseinander zu halten. Aber es muss gefragt werden: Was ist, wenn alles zu Ende ist? Wir müssen die Gesprächsfäden dann wieder aufnehmen, und wir müssen in der Lage sein, Verhandlungen zu führen. Friedensverhandlungen müssen möglich sein, weil sie immer notwendig sind, auch und gerade auf entsetzlichen Bergen von Leichen, wie dies beispielhaft nach den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gelungen war. Manchmal kann man nämlich das Böse und die Gewalt nur überwinden, nicht besiegen.

Zur Person Peter Schallenberg

Peter Schallenberg (59) ist Priester, Moraltheologe und christlicher Sozialwissenschaftler. 2018 berief Papst Franziskus den Wissenschaftler mit den Forschungsschwerpunkten Christliche Sozialethik, Ethik der Sozialen Marktwirtschaft und der Christlichen Gesellschaftslehre zum Konsultor (Ratgeber) für Wirtschaftsfragen in der Vatikan-Behörde für Entwicklung. Seit 2008 lehrt Schallenberg als Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn.

Im April 2010 übernahm er die Leitung der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach.

Ende 2021 durften wir ihn als Referenten bei einem digitalen GKS-Abend begrüßen.

 

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Neues aus Kirche und Welt:
Papstschreiben „Pacem in terris“ vor 60 Jahren veröffentlicht

Die Päpste stellen die Erhaltung des Friedens in den Mittelpunkt ihrer diplomatischen Aktivität. Ein Vorteil für sie ist eine diplomatische Doktrin, die nun 60 Jahre alt wird. Von Simon Kajan KNA

2023 Rom Nuntius klein
Bildquelle: iStock

Der Vorwurf politischer Blauäugigkeit an die Adresse päpstlicher Friedenspolitik wird nicht erst gegen Papst Franziskus erhoben angesichts seiner Zurückhaltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Als Johannes XXIII. (1959-1963) am 11. April 1963 sein Lehrschreiben „Pacem in terris“ (Frieden auf Erden) zur Friedenspolitik veröffentlichte, musste ihn gar der Osservatore Romano als offiziöses Blatt des Vatikans in Schutz nehmen. Wenige Monate nach dem atomaren Abgrund der Kuba-Krise, als der Ost-West-Konflikt fast eskaliert wäre, sprach sich der Papst gegen den Rüstungswettlauf und die Ächtung von Atomwaffen aus - und er machte seinen Frieden mit der UN und ihrer Erklärung der Menschenrechte.

Die pazifistische Linie im Bereich der Doktrin war bereits vorbereitet. Der ansonsten als konservativer Gralshüter der Römischen Schule der katholischen Theologie Kardinal Alfredo Ottaviani warb seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs für eine generelle Ächtung des Kriegs durch die Kirche. Doch bis zur Kuba-Krise galt der Dialog mit der Sowjetunion als undenkbar. Erst der erfahrene Diplomat Johannes XXIII. überwand die antikommunistischen Vorbehalte seiner Vorgänger auf dem Parkett der Weltdiplomatie. Folgerichtig wendet sich seine Enzyklika „Pacem in terris“ erstmals nicht nur an die Katholiken, sondern an alle Menschen guten Willens. Das rund 30-seitige Dokument des schon vom Tod gezeichneten Papstes gilt damit auch als sein politisches Vermächtnis an die Menschheit. Erstmals skizziert die Enzyklika eine gerechte politische und wirtschaftliche Weltordnung aus katholischer Sicht. Bislang waren die Menschenrechte als Ausgeburt der Revolution und des Freimaurertums abgelehnt oder zuletzt zumindest mit großen Vorbehalten betrachtet worden. Die traditionelle katholische Lehre vom „gerechten Krieg“ erschien Johannes XXIII. überholt oder zumindest nur noch eingeschränkt gültig: „Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, das sich rühmt Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten“, heißt es in der Enzyklika. Kritiker hielten unterdessen dem Papst selbst zu viel guten Willen und zu wenig Realitätssinn vor.

60 Jahre nach ihrer Veröffentlichung hat die Enzyklika nichts an Aktualität eingebüßt. An ihren Prinzipien orientieren sich seitdem die Päpste, mag es der westlichen Öffentlichkeit passen oder nicht. So traf die Verurteilung der Irak-Kriege oder der Interventionen in Syrien auf Widerstand in neokonservativen Kreisen diesseits und jenseits des Atlantiks. Ob diese Zurückhaltung und die diplomatischen Aktivitäten des Vatikan auch im Konflikt um die Ukraine am Ende Früchte tragen werden, kann heute niemand sagen. Doch kann der römische Pontifex als Friedensvermittler eine besondere Rolle spielen - damals bei Johannes XXIII. in der Kuba-Krise und heute bei Franziskus angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine

Link zur deutschen Fassung des Textes „Pacem in terris“
https://www.vatican.va/content/john-xxiii/de/encyclicals/documents/hf_j-xxiii_enc_11041963_pacem.html

 

2023 Syrien 2

Kardinal Marx ruft zu Friedensgebeten fürs Heilige Land auf

(KNA)

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat Christen dazu aufgefordert, für Frieden im Heiligen Land zu beten. „Jerusalem: Dieser Name klingt in unserem Ohr seit unserer Kindheit“, sagte der Erzbischof von München und Freising laut seiner Pressestelle bei der Palmsonntagsprozession um den Münchner Liebfrauendom, bei der an den Einzug Jesu in Jerusalem gedacht wird. In dieser besonderen Zeit vor Ostern ergehe von Seiten der Kirche die Einladung, für das Heilige Land zu beten, wo die Gewalt nicht aufgehört hat, fügte Marx an. Die Rolle der Religion sei dabei nicht immer gut, sagte der Kardinal weiter. Sie sei etwa als kulturelle Abgrenzung gegen andere missbraucht worden.

 

newsNeues aus Kirche und Welt:
Zwölf Jahre Krieg in Syrien - Lage wird immer schlimmer Gewalt, Flüchtlingsströme und nun noch ein Erdbeben

2023 Syrien 2

Syrien kommt auch zwölf Jahre nach Ausbruch des Krieges nicht zur Ruhe. Im Gegenteil warnen Helfer nun vor weiteren humanitären Katastrophen.

Von Johannes Senk KNA

Zwölf Jahre nach Beginn des Krieges in Syrien hat sich die Situation für die Menschen im Land nach Helferangaben zuletzt weiter verschlimmert. Aktuell bräuchten über 14 Millionen Syrer humanitäre Hilfe, neun Prozent mehr als noch 2021, erklärte das UN-Flüchtlingshilfswerk am Dienstag anlässlich des Jahrestages an diesem Mittwoch. Vor allem das verheerende Erdbeben führt zu neuerlichen Herausforderungen. Nach Angaben des UN-Hilfswerks leben derzeit rund 90 Prozent der syrischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze und müssen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Den überwiegenden Teil der etwa 14,6 Millionen Hilfsbedürftigen machen demzufolge Binnenvertriebene mit knapp sieben Millionen und rund 5,5 Millionen Flüchtlingen in den Nachbarstaaten Türkei, Libanon, Jordanien und Irak sowie in Ägypten aus.

Laut Caritas international hat sich durch das Erdbeben Anfang Februar die Zahl der Hilfsbedürftigen auf 8,8 Millionen Menschen erhöht. Das katholische Katastrophenhilfswerk konnte seine Hilfen vor Ort inzwischen ausbauen, wie der Leiter von Caritas international, Oliver Müller, mitteilte. Auf Grund der komplexen Krise warnte auch die Hilfsorganisation Care vor einer fortschreitenden Katastrophe für die Zivilbevölkerung. Eine seit zwei Jahren anhaltende Hyperinflation sowie der chronische Mangel an Treibstoffen und Düngemitteln erschweren es den Menschen, ein Einkommen zu erwirtschaften, das ihnen einen eigenen Lebensunterhalt sichert, so der Generalsekretär von Care Deutschland, Karl Otto Zentel. Das Hilfswerk unterstützt nach eigenen Angaben mit Lebensmitteln und Hygieneprodukten sowie insbesondere Mädchen und Frauen mit Gesundheitsangeboten. Im vergangenen Jahr habe Care damit rund 700.000 Menschen in Syrien erreichen können. Die bittere Wahrheit ist, dass viele Familien ohne humanitäre Hilfe kaum überleben können, sagte Zentel.

 

newsWehrbeauftragte Högl fordert Ausbau der Militärseelsorge

(KNA)

2023 Rom Nuntius klein

Die Militärseelsorge ist nach Angaben der Wehrbeauftragten der Bundesregierung, Eva Högl (SPD), für die Bundeswehr von enormer Bedeutung. Dabei gehe es neben der Ausübung der Religion um eine umfassende Unterstützung im Dienst, ob in Übung oder im Einsatz, um die alltäglichen Sorgen und Nöte wie auch um den Beistand in familiären und persönlichen Fragen, heißt es in dem am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresbericht 2022. Darin drängt Högl auf einen raschen Aufbau einer religionsbezogene Seelsorge für Muslime und den Ausbau der jüdischen Militärseelsorge. Militärseelsorge stärkt mit ihrer vielfältigen Arbeit unverzichtbar die Einsatzbereitschaft der Truppe, heißt es in der Studie. Im Zuge der Zeitenwende und der damit verbundenen Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigungwerde sie sich verändern und zunehmend auf die Organisation der seelsorgerischen Betreuungsangebote für die Landes- und Bündnisverteidigung ausrichten müssen. Dabei sei es eine gute Tradition, dass die Seelsorge für alle oen sei. Der Bericht betont in diesem Zusammenhang auch den Lebenskundlichen Unterricht (LKU). Die Praxis habe sich bewährt und gewährleistet den so geschätzten hierarchiefreien Raum zur freien Meinungsäußerung. Der Unterricht sei kein Religionsunterricht sondern solle das Gewissen schärfen, moralisches Urteilsvermögen ausbilden und so das verantwortungsbewusste Handeln unterstützen.

Högl erwartet die neue Vorschrift zur ethischen Bildung Anfang kommenden Jahres. Die Wehrbeauftragte forderte, seelsorgerische Betreuungsangebote auf Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften außerhalb der christlichen und jüdischen Militärseelsorge zu erweitern. Dabei müsse zügig ein Ergebnis für die rund 3.000 muslimischen Soldaten gefunden werden. Sie sprach sich für eine seelsorgerische Betreuung auf einzelvertraglicher Basis aus. Gleichzeitig plädierte sie für mehr Personal im Militärrabbinat. Herausfordernd sei eine gleichberechtigte Besetzung mit orthodoxen wie liberalen Rabbinern.

Als weiterhin sensibles Thema bezeichnete Högl die umstrittene Einstellung von Soldaten unter 18 Jahren. Sie sollte die Ausnahme bleiben. Allerdings betreffe dies fast zehn Prozent der Neueinstellungen im Berichtsjahr. Deshalb wolle die Bundeswehr nicht auf sie verzichten. Die Bundesregierung habe aber vor, ihre Tätigkeit weiter einschränken, über ein Verbot des Dienstes an der Waffe oder von Auslandseinsätzen hinaus. Dazu sein ein gutes Konzept nötig.

Högl begrüßte die Debatte um eine mögliche Dienstpflicht. Allerdings löse sie weder kurzfristig noch mittelfristig die Personalprobleme. Entscheidend seien bessere Rahmenbedingungen. Die Wehrbeauftragte bekräftigte zudem ihre Forderung nach einer Null-Toleranz-Politik bei Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Laut Bericht stieg deren Zahl 2022 auf 357 gegenüber 303 im Vorjahr, bei einer angenommenen höheren Dunkelziffer. 80 Prozent der Betroffenen seien weiblich und ein Drittel der Übergriffe fand demnach unter Alkoholeinuss statt.

Zum Bericht der Wehrbeauftragten 2023: https://dserver.bundestag.de/btd/20/057/2005700.pdf

 

News der Katholischen Nachrichten-Agentur

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