„Ich hätte mir mehr gewünscht“

Eine neue Partnerschaft zwischen Europa und Afrika im Fokus der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020

Artikel erschienen im AUFTRAG 306, S.19 - 25

Autor: Günter Nooke,
Persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin

Deutschlands Afrikapolitik ist eingebettet in die der EU; die erste Aufgabe der neuen Kommission unter Kommissionspräsidentin von der Leyen war die Formulierung eines Positionspapiers als Grundlage für eine umfassende Strategie mit Afrika. Die Prioritäten Deutschlands sind in das Positionspapier eingegangen, damit Deutschland im Verbund mit der EU und den Mitgliedsstaaten die Ziele seiner Afrikapolitik erreicht. Ich hätte mir mehr gewünscht. Denn gerade an der Afrikapolitik der EU zeigt sich, dass diese Kommission noch lange nicht, wie von ihr behauptet, geopolitisch agiert.

In der sich abzeichnenden geopolitischen Post-Corona-Realität sind eine enge politische Partnerschaft und eine Zusammenarbeit zwischen der EU und Afrika nicht nur für beide Seiten vorteilhaft, sondern schlicht notwendig. Afrika und Europa sind natürliche Partner, verbunden durch ihre gemeinsame Geschichte und die Geografie. Ein wohlhabendes, friedliches und resilientes Afrika ist ein wesentliches Ziel der EU-Außenpolitik.

Politische und wirtschaftliche Wettbewerber

Obwohl die EU Afrikas führender Partner in den Bereichen Handel und Investitionen, Sicherheit, Energie, Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit ist, ist die politische Partnerschaft nicht stark genug, um eine prosperierende, friedliche Zukunft der beiden Kontinente zu sichern und sich gegen politische und wirtschaftliche Wettbewerber zu behaupten. Eine Reihe von anderen geopolitischen Spielern, allen voran China aber auch Russland, die Türkei und Indien verstärken seit Längerem ihr Engagement in Afrika auf der Suche nach politischen Partnern für ihre jeweiligen geostrategischen Interessen oder auch nur auf der Suche nach Rohstoffen und Ackerflächen zum Wohle der eigenen Wirtschaft.

„Europa braucht eine neue, umfassende Afrikastrategie mit dem Ziel, eine starke politische und wirtschaftliche Partnerschaft mit Afrika aufzubauen, die den Interessen und Bestrebungen beider Kontinente gerecht wird“

Die Grundlage hierfür bilden die Erfahrungen aus der politischen Partnerschaft, die seit dem
EU-Afrika-Gipfel in Lissabon 2007 als „Joint Africa EU Strategy“ (JAES) existiert, die Agenda 2063, ein strategisches Konzept der AU zur sozioökonomischen Transformation des afrikanischen Kontinents und das Positionspapier der EU-Kommission.
Neben der politischen Partnerschaft zwischen den beiden Kontinenten im Rahmen der JAES und regelmäßiger Gipfel auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs steht eine aktuell fragmentierte Entwicklungszusammenarbeit: Mit den nordafrikanischen Staaten hat die EU im Rahmen ihrer Nachbarschaftspolitik Assoziierungsabkommen, die beispielsweise die Handelsbeziehungen und die Zusammenarbeit für Bildung und Demokratie regeln. Mit den afrikanischen Staaten südlich der Sahara, den Staaten der Karibik und des Pazifischen Ozeans hat die EU ein gemeinsames AKP-Abkommen, das Armutsbekämpfung zum Ziel hat und sich vor allem auf die Entwicklungszusammenarbeit konzentriert und die gesamte Entwicklungsfinanzierung regelt.
Das AKP-Abkommen ist ein Erbe der kolonialen Vergangenheit Europas und entspricht, gerade bezüglich der regionalen Begrenzung in Afrika, nicht mehr der Realität des 21. Jahrhunderts. Die Handelsbeziehungen mit den Ländern Subsahara-Afrikas werden separat und uneinheitlich geregelt, was die regionale Integration und die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas hemmt.

2020 ist entscheidend für die EU-Afrika-Beziehungen

Im Jahr 2020 läuft das aktuelle AKP- Abkommen aus; Brüssel führt zurzeit Verhandlungen für ein Folgeabkommen. Ende Oktober soll der nächste Gipfel der JAES auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs in Brüssel stattfinden. Und ab 01. Juli 2020 bis zum Ende des Jahres hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne. In dieser Zeit muss auch über den neuen Haushalt für die nächsten sieben Jahre von 2021 bis 2027 entschieden werden. Davon werden auch die Höhe der Mittel für Afrika, und die Antwort auf die Frage, wofür sie ausgegeben werden können und sollen, abhängen.

Ein umfassendes Kontinent- zu-Kontinent-Abkommen

Afrika und Europa stehen vor gemeinsamen Herausforderungen wie Klimawandel, digitaler Wandel sowie mehrere Krisenherde in Afrika und wachsende Ungleichheit, zu denen nun noch die Corona-Pandemie und die verheerenden sozioökonomischen Auswirkungen derjenigen Maßnahmen hinzukommen, die zur Bekämpfung der Corona-Krise in Europa und Afrika ergriffen wurden.
Um gemeinsam diese Herausforderungen anzugehen, sollten Afrika und Europa den Gipfel als Startschuss für ein neues umfassendes Kontinent-zu-Kontinent- Abkommen nutzen. Dieses Abkommen würde die im neuen APK-Abkommen vorgesehene Afrika-Säule, die Assoziierungsabkommen mit den nordafrikanischen Staaten und Sonderregelungen mit Südafrika ablösen und Zusagen über die gesamte finanzielle Zusammenarbeit der EU mit Afrika enthalten. Dieses Abkommen würde dann auch Handelsbeziehungen zwischen den beiden Kontinenten und Investitionen einheitlich regeln. Die JAES bekäme mit diesem Intercontinental Comprehensive Compact (IC3) schrittweise die Bedeutung, die sie schon immer hätte haben sollen und in den aktuellen geopolitischen und globalen Herausforderungen aus existenziellen Gründen für Europa und Afrika haben muss.

Inhaltlich hat die AU folgende Themen für die umfassende Partnerschaft vorgeschlagen: Frieden und Sicherheit; Migration; Klimawandel sowie Trade und Investitionen, insbesondere die Panafrikanische Freihandelszone. Das deckt sich mit den im Positionspapier der EU vorgeschlagenen Prioritäten. Hinzu kommen die Grüne Wende, digitaler Wandel und aktuell die Bekämpfung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen.

Für das neue Abkommen müssen die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit mit Afrika anpassen – weg von einer Geber-Nehmer-Mentalität hin zu einer echten Partnerschaft – und dafür sorgen, dass sie sich entsprechend den beiderseitigen Interessen positionieren, auch vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl geopolitischer Akteure in Afrika.

Potenzial der umfassenden Partnerschaft zwischen Europa und Afrika

Afrika hat großes Potenzial: Der Kontinent wächst, die vielen Kinder und jungen Menschen in Afrika sind die Konsumenten von morgen. Auch für den Klimaschutz spielt Afrika eine entscheidende Rolle, nicht nur wegen des weltweit zweitgrößten Regenwaldes im Kongo-Becken, sondern auch aufgrund der vielen günstigen Standorte zur Gewinnung erneuerbarer Energien und dem damit verbundenen Potenzial für die Wasserstoffproduktion. Afrika hat einen enormen Reichtum an Rohstoffen, die aktuell noch zum Großteil unverarbeitet exportiert werden.
Für größere lokale Wertschöpfung und wirtschaftliche Transformation haben die afrikanischen Staaten selbst den Startschuss durch die Etablierung der Panafrikanischen Freihandelszone gegeben: Alle afrikanischen Staaten mit Ausnahme Eritreas haben das Abkommen für die Freihandelszone unterzeichnet; der Beginn des Handels unter den Bedingungen des Abkommens ist auf den 01. Januar 2021 festgesetzt. Die Freihandelszone umfasst einen Markt von bereits heute mehr als 1,2 Milliarden Menschen und einem Bruttoinlandsprodukt von 3,4 Billionen US-Dollar – fast so hoch wie Deutschland.

Die Auswirkungen der vollständigen Umsetzung des Abkommens wären erheblich: Wachstum des aktuell wenig ausgeprägten innerafrikanischen Handels und eine wachsende Attraktivität für Investoren, die von einem Standort aus ganz Afrika bedienen können. Diese Investitionen können eine nachhaltige „grüne“ wirtschaftliche Transformation Afrikas anstoßen, sofern es sich um europäische Investoren handelt, die gemäß des Green Deal eine klimafreundliche Produktion ermöglichen. Für Europa ist dies die erste Priorität der zukünftigen Partnerschaft. Die afrikanische Seite will überhaupt eine Chance, die immense Herausforderung meistern zu können, Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung in Afrika zu schaffen. Dabei steht Ökologie nicht immer an erster Stelle, weil es hierbei immer um existenzielle Fragen heute geht und das Morgen weit weg erscheint.

Da Europa massenweise Wirtschaftsmigration aus Afrika verhindern will, wird auch bei uns die Frage konkret werden, ob wir durch unsere Luxusforderungen, an die sich keiner im Nachkriegsdeutschland halten musste und gehalten hätte, nicht auch mögliche Eigenaktivitäten und Wachstum in Afrika verhindern.

Klar ist inzwischen, dass die EU die Panafrikanische Freihandelszone uneingeschränkt unterstützt, nach über 15 Jahren „falschen“ Verhandlungen zu separaten Wirtschaftsabkommen. Immer deutlicher wird in der EU erkannt, dass diese Freihandelszone vor allem auch im Interesse europäischer Firmen ist. Die deutsche EU-Präsidentschaft wird diese Sicht hoffentlich noch einmal erheblich verstärken.
Eine Gefahr für eine flächendeckende wirtschaftliche Entwicklung in Afrika sind die Konfliktherde, insbesondere im Sahel. Hier engagieren sich die Europäer bereits gemeinsam mit den betroffenen afrikanischen Ländern in zehn EU-Mission der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die EU bietet Beratung und Schulungen für über 30.000 afrikanische Militärangehörige und Polizei- und Justizbeamte an. Gemäß der umfassenden Strategie wird die EU die afrikanischen Friedensbemühungen durch eine stärker strukturierte und strategisch ausgerichtete Zusammenarbeit anpassen und vertiefen.

Eine umfassende Partnerschaft zwischen Europa und Afrika kann die gemeinsamen Herausforderungen überwinden und das volle Potenzial Afrikas zum Wohle der afrikanischen und der europäischen Bevölkerung entwickeln.

Voraussetzung für eine solche EU-Afrika-Partnerschaft ist zunächst die Konsistenz zwischen dem neuen AKP-Vertrag und dem Kontinent-zu-Kontinent-Ansatz entsprechend der JAES, der auch für das zukünftige Abkommen gelten wird. Diese Konsistenz sicherzustellen ist eine der Hauptaufgaben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Diese neue Qualität der Partnerschaft heißt bei mir ganz unemotional: Europa und Afrika sind Weggefährten. Weggefährten kann man sich nicht immer aussuchen. Und es gibt Wege, die man allein nicht bewältigen kann, ob man sich mag oder nicht. Die EU-Afrika-Beziehungen müssen solche Wege gehen. Der Erfolg ist leichter, wenn man das erkennt und sich gegenseitig möglichst wenige Vorwürfe macht, sondern auf das vertraut, was der andere besser kann als man selbst.